
Republic/VÖ: 28.08.2015
Nach drei guten Mixtapes, die alle ein ähnlich markantes Artwork vorzuweisen hatten, war das erste richtige Album von The Weeknd zwar bombastisch, jedoch insgesamt etwas unkonzentriert. So vulgär Abel Tesfayes Texte in seiner frühen Phase waren, so brilliant war die nonchalante Art, mit der die Projekte vorgetragen wurden. Die Produktion auf “Kiss Land” war nicht das Problem. Das Songwriting und die schleppende Atmosphäre schon eher. Die Gangart, mit der er seinen Weg durch die nebligen Klangwellen fand, war nicht immer so elegant wie sein Anfang als Verführer ohne Visage. Sein Gesicht der Öffentlichkeit preiszugeben hat zwei Seiten: Einerseits erlaubt es dem Konsumenten eine genauere und direktere Auseinandersetzung mit dem Künstler, andererseits besteht eben doch die Gefahr, den Mythos und damit die Spannung aufzugeben. Für Abel war dieser Mythos eines der Schlüsselelemente seines früheren Charmes.
Nachdem The Weeknd in diesem Jahr seinen Erfolg von Amerika auf das europäische Festland ausweiten konnte, ist eine neue Bewertung seiner schöpferischen Karriere nicht unangebracht. Dem inneren Auge zeigt sich die Option einer wiederentdeckten kreativen Energie als spannendes Szenario. “Beauty Behind the Madness” wirkt gewissermaßen fast so als wäre es das richtige erste Album von dem Sänger, dessen erotisierende Lyrik fast genauso wild wie sein Haarwuchs ist.
An eindeutigen Bebilderungen der inneren seelischen Zerrüttung wird schon in den ersten Momenten nicht gespart. “Real Life” bietet jedoch mit seiner kräftigen Mischung aus E-Gitarren und Stadium-Drums trotz der melodramatischen Art einen willkommenen Einstieg. Allgemein rocken diese Songs etwas klassischer als die früheren von Tesfaye. Gleichzeitig ist das Songwriting viel poppiger und zielstrebiger - Abel ist ein Mann, der tatsächlich etwas nach Michael Jackson klingt, wenn er will. Dieser Wille sei hervorgehoben: Hatte man bei MJ das Gefühl, seine einzigartigen Betonungen und Vokalisationen entspringen eher einer unzubändigenden Frustration, so ist es im Falle von Weeknd eher ein nie enden wollender Drang zum musikalischen Größenwahn. Allgemein ist das Ego immer wieder im Fokus.
Ganz klar kommt Tesfaye aus einer Welt, die von der Rapkultur stark beeinflusst wird. Dies zeigt sich bei ihm in dieser etwas ungewöhnlich und manchmal befremdlich anwirkenden Mischung aus Thriller und Dirty Sprite - das ist seine Persona, und die Texte spiegeln das. All das macht jedoch, zum Beispiel, “Tell Your Friends” nicht schlechter als es tatsächlich ist: das Klaviersample ist hart, die Gitarre erinnert einen an Kanye West - Graduation-Ära, er produziert - und der Vortrag von Abel hinterlässt den Eindruck, dass dieser Mann weiß, wo er steht und wo er hingeht. Selbstbewusstsein, oder besser gesagt ein fester Glaube an die eigene Überlegenheit in fast jeder Situation, bestimmen das Bild, das The Weeknd von sich selbst zeichnet. Einen tieferen Einblick als das gibt es nur selten. Die Emotionalität der stimmlichen Darbietung macht dies zwar teilweise wieder wett - tatsächliche Momente der ehrlichen Zerbrechlichkeit sind dennoch nicht die Stärke des Sängers. Fast kindlich wirken gewisse Ausführungen. Ist für Abel Tesfaye alles nur ein Spiel? Auf “Acquainted” ist auf jeden Fall “touching on your body” und dass man sich kennt das höchste der Gefühle. Obwohl seine Mutter es sich anders wünschen würde.
Was immer man Abel Tesfaye wünscht - ob es eine musikalische Klarheit ist, etwas mehr Darbietung seines inneren Selbst - einen Vorwurf, dass sein zweites Album an einem vorrüberzieht, ohne etwas in Gang zu setzen, wäre über das Ziel hinausgeschossen. Das Songwriting wirkt durchgehend reifer und verdaulicher als zum Beispiel Kiss Land. Der Faden der bei den genannten frühen Mixtapes gesponnen wurde, wird hier wieder ein wenig aufgehoben und weitergetragen. Auch wenn die Arrangements, die Abel benutzt, nicht so cool sind wie 2011, so besitzt er trotzdem ein ähnliches Potenzial. Es bleibt abzuwarten, ob eine charakterliche Entwicklung (die wohl sicherlich stattfinden wird) uns noch mehr von ihm bringt. Die erste Maske der Anonymität ist abgelegt. Vielleicht wird die zweite, die in manchen Bereichen noch etwas zurückhält, auch bald von The Weeknd’s Gesicht fallen.
(DB)