
Robert Winter
Aber von Anfang an: Diesmal wurde auch schon der Donnerstag im Rahmen eines Splash Spezials bespielt, in der Hauptrolle Kendrick Lamar. Zuvor konzertierten allerdings noch Tufu sowie Luk&Fil von Sichtexot (Interview & Just For The Record folgen) und SAM, bis das Good Kid aus der M.A.A.D. City auf die Bühne kam und eine gute Show ablieferte - aber auch nicht mehr als das.
IMAGEAGENCY.com
Am nächsten Tag erleuchteten die Sonnenstrahlen das Areal rund um den Gremminer See, an dessen Ufer noch etliche riesige Kräne an das frühere Industriegebiet erinnern. In dieses Ambiente fügte sich Chefket mit dem Sound seiner neuen EP “Identitäter” gekonnt ein, um später noch als Sänger bei Marterias Auftritt zu glänzen. Übrigens haben wir auch ein Interview mit dem identitätshinterfragenden Rapper geführt, in dem wir über die deutsch-türkische Gruppe Cartel sowie die Lage der Musiker in der Türkei sprechen. Damion Davis, der im letzten Monat schon zweimal live in Wien zu sehen war, überzeugte wieder einmal das Publikum restlos von seinen Livequalitäten, versucht er doch die Zuschauer bei jedem Song auf eine andere Art und Weise in die Show miteinzubinden. Den gesamten Auftitt kann man sich übrigens bei ZDF.Kultur ansehen, um sich selbst ein Bild dieses Vollblutmusikers zu machen. Auch mit ihm haben wir geplaudert, u.a. über die Gentrifizierungsdebatte in Berlin sowie Polizeigewalt, die er in seinem Song “Erschossen” anprangert.
IMAGEAGENCY.com
Gleichzeitig fand in einem Hangar die Splash Lesebühne statt - es wurden Twitterromane vorgelesen und der moderierende Marcus Staiger tanzte in einem Antifashirt sechs Minuten lang zu einem türkischen Freiheitssong, um kurz darauf mit seinem Kollegen von der Juice, der übrigens über die oft sehr merkwürdigen Geschehnisse vor und nach Interviews erzählte, eine Flasche Jägermeister zu leeren. Ein ungewohntes Bild. Raus aus dem Betonbau und nach Frischluft schnappend, überschlugen sich die Ereignisse: Oddisee war für viele der Festivalbesucher mit seiner energetischen Liveshow DAS Highlight der ganzen Veranstaltung (hier ansehbar), Lance Butters und vor allem die Chartstürmer Genetikk überfüllten die kleinste und VBT-dominierte Stage am Seeufer mit 10.000 Leuten, während das Sorgenkinder Soundsystem unter dem Schirmherrn Herr Sorge vor einem eher kleineren Publikum ihre Alice im Wunderland-artige Performance zum Besten gab. Durch den Videodreh von Genetikk wurden unzählbare Mengen an Papiervoodoomasken verteilt, die sich mit denen von MC Fitti rivalisierten. Doch im Interview erzählten Karuzo und Sikk, dass MC Fitti das dürfe, er sei doch genauso cool wie sie. Ästhetik gab es auf jeden Fall auch bei A Tribe Called Quest, die Eastcoast-Legenden, die angeblich mit ihren Müttern angereist kamen, um ihre erste Show nach 15 Jahren zu spielen. Die MCees Q-Tip und Phife Dawg gaben dabei ihr Bestes, obwohl Letzterer krankeitsbedingt nicht alle Parts übernehmen konnte. Trotzdem lieferte die Crew einen phänomenalen Auftritt auf der ostdeutschen Mainstage ab, auch wenn viele der Festivalbesucher nicht wussten, um welche Musiker es sich dabei eigentlich handelte - fragende Gesichter baten um Auskunft und zeigten sich betrübt, als sie erfuhren, dass Marteria als Headliner dieses Freitagabends wohl noch ein wenig auf sich warten ließe.
IMAGEAGENCY.com
Die Warterei wurde aber auch gerechtfertigt. Wie Moses teilte ein SM-maskierter Marteria bei seiner Ersterscheinung die große Menge des Publikums in zwei und wurde von Securitys durch die aufgebrachte Schar an Jugendlichen geleitet. Es folgten popige Songs des Chartwunders Marteria, bis plötzlich das gesamte Areal in grüne Nebelschwaden getaucht wurde. Was das zu bedeuten hat, weiß jeder: Marsifuckinmoto ist am Start und wird mit Bengalen begrüßt. Nach dem kaiserlichen Auftritt zu Beginn der Show, bündelte der Rostocker noch einmal seine Kräfte und “ritt” auf einem grün qualmenden und überdimensionalen Jointgefährt über die Köpfe des Publikums hinweg. Lang hat das Rodeospiel zwar nicht gedauert, aber ein Höhepunkt für viele Zuschauer war es allemal. Zu späterer Stunde zeigten schließelich noch die Betty Ford Boys wie sie ihren Lebens- und Musikstil zelebrieren und mobilisierten noch einmal die von der Hitze erschöpften Wesen zu ekstatischen Tänzen bis weit in die Morgenstunden.
IMAGEAGENCY.com
Diese folgenden Morgenstunden begannen für die Camper unter den Festivalgästen immer gleich: Gegröle von den Zeltnachbarn, die auch gerne einmal die ganze Nacht mit “Halt die Fresse”-Geschrei verbrachten, Warteschlangen vor den Duschen UND gemütliches Beisammensein im Biergarten, der von einigen Wiener DJs gehostet wurde. Mit dabei waren Ottomatic, Clefco, Mainloop, Ra-B, Kidkut, Stanley Stiffla, Melik und Simp von Dusty Crates sowie Dizzy Dee. Dieses Line Up würde auch in Wien eine größere Location füllen. Nach dem Aufwärmtraining mit den Beats aus österreichischen Fadern, präsentierte sich der Samstag Nachmittag mit Acts wie Brenk Sinatra, Megaloh (der seine Splash-Cypher live mit Amewu, Chefket, Damion Davis und Greeny Tortellini live performte), The Underachievers, Joey Bada$$ oder Die Orsons. Edgar Wasser gab sich sein Stelldichein nach dem Krunk-Festival und bestätigte die Annahme, dass er wohl einer der besten Live-MCees der Republik sei. Bei ihm versteht man nicht nur jedes Wort, sondern ebenso jede Silbe - auch wenn er einmal seinen Einsatz verpasst hat, aber das schien am diesjährigen Splash sowieso eine Bühnenkrankheit gewesen zu sein, die fast jeden Act einmal in die Knie gezwungen hat. Dieses Faktum kann der Münchner mit viel Schmäh und Ironie jedoch gleich wieder relativieren. Man musste schon schmunzeln, als er das VBT zum vierten Element der HipHop-Kultur erkoren hatte. Als Feature-Gast holte er sich einen Kollegen aus der Heimat, nämlich Fatoni, und bestätigte, dass es bald ein gemeinsames Album zu hören geben wird.
Robert Winter
Was von Samstag noch zu erwähnen ist? Ein männerdominiertes Publikum bei Morlockk Dilemma und Hiob, die übrigens zum Abschluss gemeinsam mit Audio88 und Yassin als Die Bestesten performten, sowie bei Huss und Hodn. Ach ja, Hulk Hodn und sein rappendes Pendant, der Retrogott, waren sowieso wie von einem anderen Planeten. Spottend und schimpfend wurden Bitches und Pimps thematisiert, zu Swing getanzt, Geld als Feind der Menschheit definiert, gerülpst und Hurensohnologie auf gefühlte hundert verschiedene Arten “gesungen”. Zudem gab es Probs an Brenk, Dexter, Suff Daddy, Dennis Da Menace, Hiob, Sylabil Spill von der Entourage und Morlockk - eine ungewohnt hohe Zahl an Künstlern, bedenkt man die sonst so raue Art, mit der die beiden Kölner normalerweise ihren Mitmenschen öffentlich gegenübertreten. Nach “You” auf einen Evidence-Beat gab’s noch einen Fanta 4-Diss. Richtig bemerkt, Retrogott hat jetzt offiziell Beef mit den Fantas!
Der Headliner am Samstagprogramm war demnach Casper, der wie gewohnt mit rockigem Sound und Liveband auftrat - und sein neues Album “Hinterland” vorstellte. Wie gewohnt gab es Tracks auf die Beats von “Homecoming” und “Niggaz in Paris” - trotz wenig Innovation eine profunde Show des ehemaligen Harcdcore-Bandmitglieds.
IMAGEAGENCY.com
Das Außergewöhnliche am Splash Festival? Auch am Sonntag wird weitergefeiert - und zwar bis in die frühen Stunden des Montags wird dem Alltag gefrönt und HipHop in seinen musikalischen Facetten zelebriert. Beatboxer- und Freestyle-Contests konnte man finden, aber wo waren die BBoys und -Girls? Zudem gab es nur eine Wand für Sprayer, das Piece darauf war aber dafür umso lebendiger: ein HipHop Überraschungsei, aus dem viele Happy HipHoppers schlüpfen - eine witzige Idee.
Die musikalischen Gegebenheiten des Sonntags kurz zusammengefasst: Die Holländer Hardcore-Heads von Dope D.O.D. versetzten die hungrige Meute in einen Dauerpogerausch, Curse plädierte darauf, dass er nichts verkaufen und lediglich 45 Minuten Rap machen wolle und Gerard brachte nur Songs aus seinem kommenden Album “Blausicht” - auf Tracks aus seinen bisherigen Alben wartete man vergeblich. Auf der Freestyle-Bühne zeigten die Demograffics in einem exorbitant guten Set, wie man Leute unterhält, während die etwas unbeholferen “Wortakrobaten” auf der Freestyle-Bühne von ZDF.Kultur weder Flow-, Beat-, noch Technikgefühl besaßen. Interessant war am sonntäglichen Nachmittag noch die Diskussionsrunde, in der über Battlerap debattiert wurde. Eingeladen waren Falk, Prinz Pi, Weekend und 4Tune aus dem VBT, sowie Drob Dynamic, mehrmaliger Gewinner bei Rap Am Mittwoch. Die Erkenntnisse dieser Runde: Mütter sind imaginäre Kunstfiguren, Battlerap puncht nur, wenn er auch nachvollziehbar ist und jede Minderheit hat ein Recht auf Beleidigung. Haben wir wieder was gelernt.
Bei über hundert Acts würde es jeglichen zeitlichen und lesezumutbaren Rahmen sprengen, würde man - was angesichts einer einzigen Akkreditierung gar nicht möglich ist - über alle Konzerte berichten. Allerdings sei noch gesagt, dass das Festival es trotz aller Bemühungen nicht geschafft hat, den kommerziellen Aspekt ein wenig zu verschleiern. Denn wenn man für ein Wasser genauso viel zahlt wie für 0,4 Liter Bier (nämich 3,50 Euro) und man für das Aufladen des Handys 15 Euro beiseite legen muss, dann steht hierbei wohl längst nicht mehr der kulturelle Gedanke im Vordergrund. In diesem Sinne kann man es mit den Worten Falks am besten beschreiben, der das Splash als eine HipHop-Messe definiert. Wo er recht hat, hat er recht - aber immerhin ist es eine aufregende.
Im Laufe der nächsten Wochen werden einige Konzerte vom Splash! von ZDF Kultur im Fernsehen sowie online ausgestrahlt.
Text: Julia Gschmeidler