Erwartungen und Wünsche für Kanye Wests Album // Kolumne

Was will man noch über Kanye West sagen, das noch nicht gesagt wurde? Selten polarisiert jemand so sehr wie der US-amerikanische Musiker. Die einen feiern ihn als größten lebenden Künstler, die anderen hassen ihn für seine egozentrische Art. Heute erscheint jedenfalls sein neues Album “The Life of Pablo”, weswegen wir unsere Hoffnungen, Erwartungen und Befürchtungen darüber mit euch teilen.

Auf die Melodien und die Inszenierung kommt es an

Gäbe es Drake, Future, Travi$ Scott, Kid Cudi und viele andere so, wie sie heutzutage sind, wenn nicht ein gewisser Kanye West uns alle mit seinen Visionen beeindruckt hätte? Ich bezweifle es sehr, denn auch wenn viele es nicht zugeben möchten – Kanye gehört ganz klar zu den größten Künstlern des HipHops. Für mich ist er sogar der beste Rapper aller Zeiten und lieferte mit “My Beautiful Dark Twisted Fantasy” zudem das beste HipHop-Album überhaupt. So verkopft, dass man die Gedanken, die sich gemacht wurden, bemerkt und trotzdem teils poppig genug, um auch Nicht-HipHop-begeisterte Menschen davon zu überzeugen. Dazu politisch, emotional, bitterböse und trotzdem bittersüß. Diese Kontraste zeichnen ein Gesamtbild, das nicht damit aufhört, mich zu faszinieren. Ja, der Mensch hinter der Musik sorgt oft genug dafür, dass ich nicht anders kann, als mit dem Kopf zu schütteln. Zu sehr wurde Kanye von seinem Ego zerfressen, um wirklich noch Sympathie für ihn empfinden zu können. Trotzdem bin ich der Überzeugung, dass genau dieser Charakter verbunden mit einer solchen Musik viel von der öffentlichen Faszination ausmacht.

Mit seinen legendären Melodien änderte er für immer meine Sicht auf Musik. Sei es das “All of the Lights (Interlude)“, das unglaublich traurige “Welcome to Heartbreak“ oder das düstere “See You In My Nightmares“ – Kanye lieferte schon immer Melodien, die begeistern. Genau da kommen wir auch zu meinem ersten Wunsch für das neue Album: Ich hoffe, dass er wieder mehr auf genau diese Stärke setzt. Sein kommendes Werk soll mir Klänge liefern, an die ich mich auch noch in 60 Jahren erinnern werde. Beats, welche beweisen, wie wichtig die musikalische Untermalung letzten Endes doch ist. Ich möchte, dass mich seine Melodien erneut auf eine Reise mitnehmen. Ein perfektes Beispiel dafür stellt “Runaway“ dar. Eine Reise, die verrückter kaum ausfallen kann und am Ende alle Strukturen verliert und trotzdem wieder zum Beginn führt. Doch diesen Ort sieht man nicht wie am Anfang des Weges, sondern mit ganz neuen Erkenntnissen. Meine Sehnsucht nach neuen Überraschungen, wie die auf “MYBTDF“ ist unendlich. Ein genialer, purer HipHop-Track wie “Monster“ gewann dank Bon Iver am Ende eine vollkommen neue Facette. Der bittersüße Vibe von “Blame Game“ erreicht durch den genialen Chris-Rock-Skit ein vollkommen neues Level. Ein Album, welches in seiner Vielfalt Sinn macht – ob ihm das erneut gelungen ist? Noch bin ich skeptisch.

Eine weitere Stärke Kanyes stellte schon immer die gelungene Inszenierung und Platzierung seiner Feature-Gäste dar. Unvergesslich, wie “Amazing“ durch Jeezys Part plötzlich viel düsterer wurde, ohne jedoch den zuvor aufgebauten Vibe vollkommen zu verlieren. Selbst ein Rick Ross glänzte unter Kanye auf “Monster“ mit nur vier Zeilen und auf demselben Song lieferte Nicki Minaj den besten Part ihrer bisherigen Karriere. Auch Jay-Z bewies gemeinsam mit Kanye immer wieder Höchstleistungen. Sei es auf “Never Let Me Down“ oder seine Beiträge auf dem schon eben erwähnten “Monster“, oder auf “So Appaled“. Kanye, bitte nimm erneut die Rolle des Regisseurs, dem es gelingt, sich und die anderen genial in Szene zu setzen.

Meine Sorge, dass alles, was ich mir Wünsche, nicht in Erfüllung geht, ist ziemlich groß. So hat mir sein Schaffen zuletzt eher weniger gefallen. Ich will wirklich keine Fortsetzung von “Yeezus“. Nein, ich will nicht einmal eine Fortsetzung von “My Beautiful Dark Twisted Fantasy“. Ich möchte, dass Mr. West ein neues Kapitel eröffnet und uns alle in ein vollkommen unbekanntes, abstraktes Universum einlädt, welches wieder mein Herz einnehmen kann. Ob Kanye dies mit “The Life of Pablo” schaffen wird, bleibt abzuwarten.

– Colin Smith

tracklist life of pablo

Kanye lädt in seine kalte Welt ein

Yeezus, das 2013 erschienene, sechste Studioalbum von Kanye West, ist eines seiner besten.

Wir könnten weiter ausholen und diese Schlussfolgerung mit diversen Verweisen auf die verschiedenen Künstler, die bei der Kreation des Albums mitwirkten, begründen – unter anderem Chief Keef, Evian Christ, Justin Vernon und einige andere. Wir könnten ebenfalls über das Video zu „Bound 2“ sprechen und unsere ganze Aufmerksamkeit dem ästhetischen Wirrwarr, das West bei jeder Inkarnation seines künstlerischen Ichs, bei jeder audiovisuellen Verwirklichung seiner revolutionären Vision bis zum Höhepunkt zelebriert. Diese Punkte sind relevant und wichtig. Aber sie sprechen nicht von der eigentlichen Stärke von “Yeezus” – einem Album, das Kanye West in seinem kalten Territorium bleiben lässt, welches er sich in etlichen „kontroversen“ Interviews aufbaut und verteidigt. Der selbstbewusste, innerlich hin- und hergerissene Mann, der immerzu von großen Ambitionen spricht, entblößt sich auf diesen Aufnahmen. Und das ist seine große Stärke. Als Künstler und als Mensch. Wir werden eingeladen in die Villa, alle Fashion-Designer reichen uns die Hand – doch warum fühlen sich diese Hände so kalt an? Es ist verdammt kalt hier.

Sprechen wir von Kanye West, so sprechen wir auch über seine Anfänge in abgesteckten Gebieten. In den traditionellen Disziplinen des Rap wurde Kanye West groß, doch in der elektronischen Musik findet er seinen wahren Erlöser. Diesen Ansatz finden wir schon auf “Graduation”, danach auf “808s& Heartbreak. Hier wird das Ganze auf ein nächstes Level gehoben – die Katharsis nimmt ihren rituellen Lauf, bis die Beats nicht bloß schwingen, sondern kreischen. Auf neun Tracks zerstört man also zuerst mit Plastikmaschinen alle Klischees des Raps, im nächsten Moment bedient man sie wiederum gekonnt, man verwebt sich daraufhin textlich in Perversionen und Provokationen – nur um am Ende bei dem Kitsch selbst in Form von Bound 2 zu landen; der letzte Song des Albums ist weich und langsam. Der Song sagt: „Es tut mir leid, dass ich so laut war. Ich habe es nicht böse gemeint. Aber warte, geh nicht weg – hör dir diese Melodie an. Ist das Leben nicht wunderschön, wenn du einen Lamborghini fährst?“ Doch neben jedem Fetisch für Mode, Autos, kurz Luxus von Kanye haben vor allem die kleinen Menschlichkeiten ihren Platz in seinen Konzepten. Das ist seine Stärke. Das ist der Grund, warum etliche Dialoge über Lederhosen und Modedesigner nicht von seinen Absichten ablenken. Spricht er von sich, so spricht er immer auch von uns. Denn dieser Mann ist kein leidensbefreiter Chaot. Er blutet innerlich. Dieses Album lässt uns das hören.

Kanye West popularisierte Autotune im Rap. Diese Maschine also lässt ihn seit 2008 singen wie einen Engel. Und das sollten wir ihm gönnen, genauso wie jedem Menschen, der singen will: Die Unterdrückung wird überwunden, indem man singt. In diesem Sinne kann man also Kanye und all seinen Kollegen (denken wir an Young Thug und Future) jede Möglichkeit sich auszudrücken nur aus vollstem Herzen gönnen. Nicht jeder von ihnen kann in echt singen, aber wenn wir ihnen die Maschinen absprechen, die es ihnen ermöglichen, so verhindern wir ihre Emanzipation. In diesem Sinne geht es nicht um das Talent, sondern die Absicht. Das Ghetto darf nicht für immer geschlossen bleiben. Kommt heraus und singt. Die Etablierung solcher Bewegungen in der Rapindustrie durch West erlauben es dem Zuhörer, hinter seiner scheinbar undurchschaubaren Fassade, hinter der Zerstörungsmaschine von Yeezus, hinter dem Heavy Metal von Yeezus etwas zutiefst Menschliches zu finden. Die Sehnsucht nach Erlösung und nach Frieden. Doch um Frieden zu finden, muss man oft Krieg führen. Wir wollen hoffen, dass dieser Krieg auf seinem neuen Album “The Life of Pablo” weitergeführt wird.

– David Bauer

Wie steht ihr zu Kanye West? Freut ihr euch auf sein kommendes Album? Und was ist euer bisheriges Lieblingsalbum von ihm?

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