PRO
Fler liefert mit “Vibe” das beste Album seiner Karriere
Laut, oft widersprüchlich, erstaunlich ehrlich und immer präsent: Diese Attribute beschreiben den heutigen Fler. Nach über 15 Jahren im Business ist Fler noch immer nicht aus der Deutschrap-Szene wegzudenken. Das liegt vielleicht auch daran, dass es ihm immer gelungen ist, im Gespräch zu bleiben. Nachdem diverse Konkurrenten an seiner Außenwahrnehmung deutlich kratzten, hat es Fler geschafft, auch seinen eigenen Vorteil aus dem erheblichen Gegenwind zu ziehen. Er klapperte unermüdlich gefühlt so gut wie jedes Deutschrap-Medium ab, um in Interviews lautstark seine Sicht der Dinge zu erklären. Doch ein Problem blieb bestehen: Das eine Album, welches so gut ist, dass es die Interviews in den Schatten stellt, fehlte bislang.
Mit “Vibe” scheint er auch diese Barriere überwunden zu haben. Noch nie bekam Fler derart positives Feedback für seine Musik. Dabei sollte “Vibe” ursprünglich die voriges Jahr mit “Keiner kommt klar mit mir“ begonnene Frank-White-Trilogie beenden, doch dann erschien “Unterwegs“ gemeinsam mit Sentino, welches mehr Wellen schlug, als die meisten Fler-Songs der vergangenen Jahre. Die positive Resonanz löste eine radikalen Kurswechsel aus und führt den Weg fort, den Fler vor über drei Jahren schon mit “Blaues Blut“ eingeschlagen hatte: Statt 90-BPM-Beats gibt es Trap. Für Fler die Richtung, nach der Rap 2016 zu klingen hat.
Mehrsilbige Reimketten oder starke Vergleiche zählen hier nicht – der spezielle Fler-Vibe ist übergeordnet. Tatsächlich werden hier rein thematisch keinerlei neue Gebiete erforscht, doch das muss auch gar nicht geschehen, damit man unterhalten wird und die teils sehr gelungene Zusammenfassung des “Jungen aus der City“ mitbekommt. Von dem Jungen, der auf “Hätte nie gedacht“ mitteilt, dass er selber nie damit gerechnet hätte, exotische Fische im Restaurant essen zu können, mit Sophia Thomalla abzuhängen oder irgendwann den so glänzenden Mercedes zu lenken. Dabei steckt Fler steckt voller Widersprüche, die einerseits faszinieren und andererseits oft dazu führen, den Kopf zu schütteln. Auf “Vibe“ bleibt Fler zwar kontrovers, lässt jedoch dumme Aussagen oder Auseinandersetzungen mit der Konkurrenz zum Glück nicht die Oberhand gewinnen.
Noch nie glänzte ein Fler-Album durch so viel Detailverliebtheit. Seine Produzenten Nico Chiara und Iad Aslan geben Fler die perfekten Vorlagen und dieser nimmt sie mehr als nur dankend an. Schon immer predigte er, dass Gefühl und Attitüde im HipHop über alles stehen würden, doch derartig konsequent hat er sich bisher noch nie an seine eigene Predigt gehalten. Eine Fähigkeit hat Fler sich zudem angeeignet: Der Maskulin-Chef spielt endlich mit seiner Außenwahrnehmung. Natürlich nimmt er sich noch immer ernst, doch Zeilen wie “Fler kann nicht reflektieren, er rastet aus“ sind nicht nur äußerst unterhaltsam, sondern greifen auch gekonnt kritische Stimmen von Leuten auf, denen Fler einfach zu laut ist. Auch auf “Lifestyle der Armen und Gefährlichen“, eines der Glanzstücke des Werkes, stellt er seine kontroverse Persönlichkeit zur Schau wie noch nie zuvor und bringt dermaßen viele ignorante Lines, dass die Leute, die ihm als Drake-Klon abstempeln, wohl direkt verstummen. Als wäre das alles nicht schon überzeugend genug, gelingt es ihm, das alles auch musikalisch gelungen umzusetzen. Die Pausen sitzen, die Zeilen sitzen und sogar die Autotune-Hook veredelt den Song.
Fazit: “Vibe” gewinnt immer da an Qualität, wo Fler auch nachdenklichere Töne erklingen lässt. “Unsichtbar“ strickt Geschichte des Jungen aus dem Heim, der so kontinuierlich arbeitet und sich etlichen Menschen gegenüber ignorant verhält, gekonnt weiter. Die Geschichte des Patrick Deckers ist sicherlich nicht die sympathischste, aber, wenn man sie derart in Szene setzt, sicherlich eine der faszinierendsten.
Text: Colin Smith
CONTRA
Fühlst du nicht den Vibe?
Nach einer Promophase, die skurriler nicht sein hätte könnte, löst Fler wieder einmal Diskussionen in der Szene aus. Dabei hat Fler definitiv einiges richtig gemacht, erreichte er mit “Vibe” doch Platz eins in den deutschen, österreichischen und Schweizer Albumcharts. Als Kaufmotiv war sicher nicht in jedem Fall Fanliebe und uneingeschränkte Bewunderung für Flers Musik ausschlaggebend, sondern sicherlich auch oft Neugierde, Belustigung, aber auch die ein oder andere Ohrwurm-taugliche Singleauskopplung.
Der erste Track “Vibe” ist einer der stärksten von der Platte und zeigt gleich zu Beginn, wo sich der deutsche “Badboy” zurzeit soundtechnisch befindet. Knusprige Hi-Hats, magenaushebende Bässe und ein Flow, der vermuten lässt, dass die Gangsterrap-Ikone einfach nach jedem Satz eine Atempause braucht. Bis auf wenige Songs könnte man alles in die Trap-Schublade stecken. Davon kann man halten, was man will, jedoch sei auch gesagt, dass der Sound unglaublich gut produziert ist. Dafür verantwortlich sind hauptsächlich Iad Aslan und Nico Chiara. C-Wash und Oster haben jeweils einen Beat beigesteuert.
Trotz tighter Instrumentals wird das Album mit der Zeit eintönig, besonders für die HipHop-Heads, die noch Wert auf Raptexte legen. Auch beim dritten Mal Durchhören gibt es keine Textpassage, die wirklich hängen bleibt. Dass Fler nicht der neue Goethe ist weiß man, aber nach der dritten Line über seine Interviews stellt sich die Frage, ob beim mittlerweile 13. Soloalbum vielleicht langsam die Themen und Ideen ausgehen. Features von Bushido, Shindy, Laas, Jalil und Sentino bringen hierbei wenigstens ein wenig Abwechslung rein. Besonders die Hooks – manchmal auch mit dezentem Autotune-Effekt unterlegt – wirken hingerotzt und bestehen oft nur aus der dauerhaften Wiederholung des Songtitels. Message, Reimtechnik und Lyrik sind bei “Vibe” auf einem sehr niedrigen Niveau, aber das soll vermutlich so sein. Hauptsache “real”.
Drei absolute Fehltritte auf dem Album sollen nicht unerwähnt bleiben. Erstens macht Fler mit Sentino und der Nummer “Unterwegs” den wahrscheinlich größten Hit seiner Karriere auf diesem Album. Gleichzeitig wird genau derselbe Sentino beim Jalil-Feature gedisst. Beef hin oder her: Entweder den Track von der Platte nehmen, oder nicht fronten. Außerdem ein No-go: “Moderne Sklaverei” ist ein “Trap-Acapella”. So was hat es noch nie gegeben, und das hatte auch seine Gründe. Es klingt so, als hätte Fler von einem aufgenommen Track einfach nur den Beat gemutet. Und wenn man textlich nicht gerade seine Stärken hat, ist das nicht gerade die beste Idee. Und zu guter Letzt: Auf der Platte ist ein Remake von “Du hast den schönsten Arsch der Welt“. Hierzu ist keine Stellungnahme nötig.
Fazit: “Vibe” ist ein geniales Album für Leute, die Deutschrap hören, aber der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Man darf sich textlich nicht viel erwarten, aber zum Pumpen im Auto oder zum Feiern eignet sich das Ding allemal. Einen roten Faden sucht man vergebens. Man könnte eher glauben, der Berliner habe einfach eine Million Bars aufgeschrieben und sie willkürlich auf ein paar Überbretter von Beats verteilt. Es bleibt zu bezweifeln, dass Fler es schafft, in Zukunft auch ohne dieses Promo-Theater auszukommen und seine Zeit lieber in das Wichtigste beim Musikmachen investiert: die Musik. Und auf die Frage von Fler im Introsong: “Junge, fühlst du nicht den Vibe?” – Ja, eh… ein bisschen.
Text: Jonas Herz-Kawall